EG
Im Erdgeschoss erwarten Sie zahlreiche Raumensembles unterschiedlicher Epochen und Stile. Außerdem Exponate aus dem antiken Ägypten, Griechenland und Rom. Die italienische Renaissance ist mit Kabinettschränken, Kleinplastiken und Majolika vertreten. Objekte, die im Rahmen des christlichen und jüdischen Glaubens entstanden sind, finden Sie hier ebenso wie Cembali, Clavichorde, Lauten und eine umfangreiche Porzellansammlung.
Lieblingsobjekte
Oktavcembalo / Ottavina
Diese besondere Ottavina bringt mich mit ihren dezenten Hellblautönen, welche bis ins sanfte Dunkelblau verlaufen, und der fragilen Bauweise der gebogenen Beine in eine melancholische Stimmung. Ich versetze mich in die Rolle einer gut betuchten Italienerin der 1720er Jahre und stelle mir den einst wundervoll hohen Klang dieses kleinen aber feinen klavierähnlichen Objektes vor. Ich habe den Eindruck, dass, sobald ich diese zarte Ottavina berühre, sie in Millionen kleine Teile zerbrechen würde. Unmöglich, sie wieder auf so wunderschöne Art zusammenzusetzen. Ich schwelge oft in der Vergangenheit. Dieses Objekt scheint auch in der Vergangenheit hängen geblieben zu sein. Die Bilder auf der Innenseite der Flügel und der Umrandung erzählen viele eigene, mögliche vergangene oder auf uns zukommende Geschichten. Die vielen kleinen Details, beispielsweise auf den Tasten, oder die Malereien von Engeln auf der Innenseite zeigen, wie viel Arbeit und Feingefühl in dieses Oktavcembalo gesteckt wurde. Eine Mühe und Achtsamkeit in Handwerkskunst, die heute kaum denkbar wäre. Umso trauriger finde ich es, dass nichts über die Werkstatt bekannt ist.
Ela Nur Aydogdu, Praktikantin Kommunikation
Wilstermarscher Zimmer
Mein Lieblingsobjekt ist das Wilstermarscher Zimmer im EG des Museums. Das Zimmer als Period Room ist eine Setzung von Objekten: Truhen, Stühle, Tische, Öfen und Wandvertäfelungen, die aus der Mitte des 18. Jahrhunderts und der besagten Wilstermarsch nordwestlich von Hamburg stammen. Ich gehe in meinen Pausen dort vorbei und genieße die Ruhe, die diesem Teil der Dauerausstellung innewohnt. Der Dielenboden knarrt und ich halte inne. Nicht das am Ende doch jemand aus der anderen Seite der geschlossenen und verzierten Tür hervorlugt und mich streng zu Tisch bittet. Die Fenster sind milchig verdeckt und erlauben keinen Ausblick, erhellen jedoch mit ihrem kalten Licht den dunklen Raum, der gleichermaßen beengend wie behütend wirkt. Es ist ein winterliches Mittagslicht und ich stelle mir vor, wie hinter der beschlagenen Scheibe der Schnee auf den Feldern und der Marsch liegt. Vögel suchen darunter nach verlorenen Resten der letzten Ernte. So kann man es sich gemütlich machen für einen Augenblick, denn die Kälte findet keinen Einzug in mein Zimmer, noch die Tauben oder die heranrasenden Züge des Bahnhofs, der hinter der imaginierten Schneelandschaft das reale Feld verdeckt.
Tilman Walther, Kurator und Leitung Freiraum
Glaskännchen
Glas oder Porzellan, das ist hier die Frage. Das kleine, etwas unscheinbar wirkende Kännchen gehört vielleicht nicht zu den schönsten Ausstellungsstücken des MK&G und dennoch fasziniert es mich. Es ist das Resultat eines Versuches der Gebrüder Schackert in Brandenburg, das aus China bekannte Porzellan im 18. Jahrhundert auch in Europa selbst herzustellen. Das Ausgangsmaterial der Kanne ist zwar Glas, das aber nicht wie üblich durch Blasen in Form gebracht wurde, wie Bearbeitungsspuren im Inneren zeigen. Das Erscheinungsbild der Kanne steht ebenfalls in starkem Kontrast zu anderen Gläsern: Der typische Glanz fehlt und die Oberfläche wirkt fast schmutzig und nicht so strahlend weiß wie bei Milchglas. Aber wie setzt sich das Material genau zusammen und war die ungleichmäßige Form gewollt oder ergab sie sich aus dem Herstellungsprozess? Auch nach Abwägung verschiedener Beobachtungen bleiben mehr Fragen als Antworten, die mir auch die Forschung (bisher) nicht wirklich beantworten kann. Solange übt das Kännchen weiterhin seine magische Anziehungskraft aus und ich bleibe vor der Vitrine zurück, in der Hoffnung, dass das Kännchen mir sein Geheimnis eines Tages preisgibt.
Annika Thielen, Sammlung Europäisches Kunsthandwerk und Skulptur
Cembalo / Pascal Taskin
Dieses Instrument birgt mindestens so viele Rätsel in sich wie eine verwickelte Detektivgeschichte. Eine Signatur über den Tasten führt zunächst in die reiche Hafenstadt Antwerpen. Dort betreibt im 16. Jahrhundert, nur ein paar Gassen vom Haus des Malers Rubens entfernt, die Familie Ruckers ihre Werkstatt. Deren Instrumente sind von so überragender Qualität, dass sie noch ein gutes Jahrhundert später in Frankreich als kostbare Prestigeobjekte gehandelt werden. Und tatsächlich, oben auf dem Stimmstock findet sich eine zweite Signatur, diesmal von Pascal Taskin, dem Cembalobauer des französischen Königs. Er will das Instrument 1787 in Paris überarbeitet haben. Aber stimmt das überhaupt? Eher sieht es so aus, als ob Taskin seinem Kunden ein neues Instrument als teure Antiquität verkauft. Die Geschichte ist damit noch nicht zu Ende, denn im Innern des Korpus findet sich ein Reparaturzettel der Klavierbauwerkstatt Henri Herz aus dem Jahr 1866. Als eines der raren Cembali, die aus der Zeit vor der Französischen Revolution noch erhalten sind, wird es damals aufwendig restauriert. Die Wiederentdeckung der Alten Musik beginnt, aber das ist wirklich eine neue Geschichte.
Olaf Kirsch, Kurator, Leitung Sammlung Musikinstrumente
Antikes Weihrelief
Etwas kurios mutet sie schon an, die Darstellung eines Ohrenpaares in Form eines Reliefs aus Marmor. Selten sind solche Artefakte allerdings nicht: Es handelt sich um Weihgeschenke, die sich häufig im Umfeld von sakralen Gebäuden, insbesondere von antiken Tempeln, fanden. Gewidmet wurden diese Votivgaben einer Gottheit entweder als Bitte um Heilung oder als Dank für die Genesung des abgebildeten Organs. Beispiele solcher nachgeformten Körperteile jeglicher Art aus verschiedenen Materialien, in der Regel Ton oder Stein, sind in der Sammlung Antike des MK&G zu sehen. Ob dieses Relief aus einem der bedeutenden Heiligtümer des Heilgottes Asklepios stammt, etwa aus Epidauros oder Kos, lässt sich leider aufgrund einer fehlenden Inschrift nicht mehr ermitteln. Im speziellen Fall dieses Reliefs mit den Ohren ist eine weitere Deutung denkbar, sogar die eher zutreffende: Womöglich war es für eine der „erhörenden Gottheiten“ (gr. theoí epékooi) bestimmt (z.B. Aphrodite), in der Hoffnung, jene möge sich den Sorgen und Nöten der Betenden hilfreich annehmen. Aus beiden Auffassungen ergibt sich für mich die spannende Überlegung, ob hier nun menschliche oder göttliche Ohren gemeint sind.
Ulrike Blauth, Marketing
Hamburger Schapp
„Der passt aber nicht ins Wohnzimmer“ meinte eine Besucherin zu ihrer Begleitung als ich vor dem „Hamburger Schapp“ im Hamburger Zimmer im EG stand. Mit 2,60 Meter Höhe und 2,80 Meter Breite ist der barocke Schrank auch zu groß für die meisten Hamburger Wohnungen. Der „Hamburger Schapp“ entstand am Ende der Blütezeit der Hansestädte um 1700 und war damals schon nicht für das Wohnzimmer gedacht, sondern für die großen Dielen der Kaufmannshäuser. „Schapp“ bedeutet zwar nur „Schrank“, beschreibt aber einen bestimmten prunkvollen Schranktypus, welcher im ganzen Norddeutschen Küstengebiet weit verbreitet war. Furniert ist der „Hamburger Schapp“ deswegen mit dem damals angesagten und kostbaren Nussbaumholz und ist verziert mit aufwendigen Schnitzereien. Bei den Schnitzereien beweist der/die Erbauer*in ausführliche Bibelkenntnis. Dargestellt sind über 20 Figuren, überwiegend Frauengestalten aus dem Alten Testament. Die Putten an den Kapitellen symbolisieren die christlichen Tugenden Glaube, Liebe und Hoffnung und am Gesims des Schrankes ist das berühmte Salomonische Urteil zu sehen. Der Schrank ist mit seiner Größe und Kostbarkeit ein spannender Beweis des hanseatischen Reichtums.
Augustin Lavik, Jahrespraktikant Restaurierung Möbel und Holz
Glasfragment
Diese faszinierende Nahaufnahme einer antiken Glasscherbe stammt aus der MK&G Sammlung Online. In Realität sind die Glasfragmente sehr, sehr klein – nur wenige Zentimeter. Eine Auswahl ist im Erdgeschoss in der Sammlung Antike ausgestellt. Begeben Sie sich doch mal auf die Suche nach ihnen, es lohnt sich. In knallbunten Farben, filigranen Mustern und abstrakten Formen liegen sie zusammen in einer Vitrine. Mehr Fragmente in großer Ansicht, ganz nah und detailliert, sollten Sie sich dann unbedingt noch in der Online-Sammlung des MK&G anschauen: Ganz einfach das Wort „Glasfragment“ in das Suchfeld eingeben und durch die Nahaufnahmen – eine schöner als die andere – stöbern. Ich kann mich gar nicht sattsehen an den vielfältigen Fragmenten, die mich an abstrakte Gemälde erinnern. Die Aufnahmen der Glasfragmente sind übrigens alle gemeinfrei, können also heruntergeladen und für jegliche Zwecke verwendet werden. Ich bin mir sicher: Mindestens eine Abbildung wird es zu einem Albumcover schaffen. Spätestens dann, wenn ich selbst mal eine Band gründen sollte.
Philipp Göbel, Digitale Kommunikation
Ägyptisches Relief
Im Sommer 1981 besuchte ich ganz aufgeregt an der Seite meiner damaligen Geschichtslehrerin die Ausstellung „Tutanchamun“ im MK&G. Ich kann mich noch sehr gut an die spannende Anreise mit dem Zug aus Lüneburg erinnern. Die Schlange der Besucher*innen reichte gefühlt bis zur Alster und ich konnte es kaum erwarten, endlich die Totenmaske des Pharaos bewundern zu dürfen. Damals ahnte ich noch nicht, dass ich viele Jahre später in diesem besonderen Museum als Assistentin der Direktorin arbeiten würde. Der Katalog hat bis heute einen Ehrenplatz in meinem Bücherregal und mein Interesse an Ägyptischer Kunst hat sich seitdem verstärkt. Im November 2022 jährt sich die Entdeckung des Grabes von Tutanchamun zum hundertsten Mal. Dies ist ein Grund mehr, dass für mich das Relieffragment aus dem Grab des Maya zu meinen Lieblingsobjekten dieses Hauses zählt. Es handelt sich hierbei um ein Bruchstück von der Reliefwand einer Grabkammer. Als Maya wird der Schatzhausvorsteher des Pharaos bezeichnet. Er hält Lotusblumen als besondere Gabe für den Grabherrn in seiner rechten Hand. Beim genaueren Betrachten erkennt man viele kleine Pigmente, deren Farbigkeit auch heute noch sichtbar ist. Was für ein besonderes Phänomen!
Gerrit Irmela Scharpen, Assistentin der Direktorin
Viererkopf
„Memento Mori“ In der Sammlung Europäisches Kunsthandwerk sticht mir immer wieder ein kleines, fein gearbeitetes Objekt ins Auge: Der um 1650 in den Niederlanden gefertigte Viererkopf aus Buchsbaum erinnert die Betrachtenden in seiner Funktion als „Memento Mori“ an die Unzertrennlichkeit von Leben und Tod: Das Gesicht eines Kindes, einer Frau, eines Mannes und eines Schädels an den vier Seiten des Kopfes versinnbildlichen den unaufhaltsamen Lauf unserer kostbaren Lebenszeit. Der Kopf mahnt uns, dass wir nicht länger mit der Gestaltung unseres Lebens warten sollen, sondern das tun, was das Leben zu unserem eigenen macht. Der Viererkopf zeigt mir, dass alles schon da ist, was ich von meiner Geburt an mitbringe, dass alles vorgezeichnet ist. Meine Aufgabe ist es herauszufinden, was genau das ist, welchen Platz ich im großen Ganzen einnehme. Der Jahrtausende lang andauernde Prozess, in dem die Menschheit Kulturen erschaffen und sich immerzu weiterentwickelt hat, erscheint mir ohnmächtig gegenüber ihrem eigenen Ursprung, der Natur selbst. Wir sind Menschen. Wir leben, atmen, vergehen. Nicht mehr und nicht weniger. Und genau das gibt uns die Freiheit, im Einklang mit dem Menschsein aus dem Vollen zu schöpfen.
Dominik Nürenberg, Kommunikation
Tetradrachme aus Entella
Diese um 320 bis 300 v. Chr. geprägte Silbermünze mag als Beispiel für die zahlreichen in den Sammlungen zu entdeckenden Geschichten dienen. Sie gelangte 1921 als Brosche gefasst in das MK&G. Dargestellt ist auf der Vorderseite der von Delphinen gerahmte Kopf der Quellnymphe Arethusa. Auf der Rückseite ist ein Pferdekopf mit Palme zu sehen, eine phönizische Inschrift verweist als Prägeort auf Entella, eine punische Stadt auf Sizilien. Im Mythos bedrängt der Flussgott Alpheios die Nymphe. Mit Hilfe der Göttin Artemis gelingt der in eine Quelle verwandelten Arethusa die Flucht nach Sizilien, wo sie einen Steinwurf vom Meer entfernt als Lebensspenderin wieder zu Tage tritt. Sie wird zur Schutzpatronin der von Griechen im 8. Jahrhundert v. Chr. gegründeten Stadt Syrakus, das sich zu einer der mächtigsten Metropolen Süditaliens entwickelt, und ziert die Münzen der Stadt. Vielleicht ist es die schöne Geschichte oder das bezaubernde Gesicht der Arethusa, die zur Übernahme des griechischen Motivs durch Entella führen. Wahrscheinlicher ist aber die Orientierung am griechischen Zentrum der Macht, denn Münzen dienen in der Antike nicht nur als Zahlungsmittel, sondern sind wichtiges Medium zur Übermittlung von Nachrichten und Propaganda.
Dr. Frank Hildebrandt, Kurator, Leitung Sammlung Antike
Gliedermann
Wenn ich unserem Gliedermann in seine hölzernen Augen blicke, den imposanten Bart und die lockigen Haare anschaue, erkenne ich einen Mann, dem ich vor Ewigkeiten in der mittelhessischen Pampa regelmäßig begegnete. Eine langsam aus der Erinnerung verblassende Gestalt der Kindheit. Der „Bagger-Hans“, damals vermutlich um die 40, war ein illustrer, stets singender Freund meines Opas, und, wie sein Spitzname vermuten lässt, ein Baggerfahrer. Hans und der Gliedermann sind praktisch Zwillinge. Vor der Vitrine grüble ich, ob der mysteriöse „I.P.“, der die Gliederfigur vor fast genau einem halben Jahrtausend (!) geschnitzt hat, auch eine reale Person vor Augen hatte. Einen Freund vielleicht? Seinen Lehrmeister, oder jemanden, in den er verliebt war? Wahrscheinlich ist er aber eine anonyme Idealfigur, die den Wissbegierigen etwas über den Körper und seine Proportionen vermitteln sollte. Oder war das hölzerne Kerlchen vielleicht doch wie heutige Gliederfiguren ein Hilfsmittel für die Maler*innen? Oder gar ein Kinderspielzeug, der Ken für die Barbies aus dem 16. Jhd.? Wollte ich dazu nicht eigentlich längst mehr herausgefunden haben? Egal, für mich kann er gern der Urahn vom Bagger-Hans bleiben.
Dennis Conrad, Kurator, Ausstellungen und Projekte
Liegender Anubis von einem Sarg
In einem Haus, das voller Lieblingsobjekte ist, ein Lieblingsobjekt auszuwählen, gestaltet sich zu einem schwierigen Unterfangen. Nehme ich das Feininger-Spielzeug der Sammlung Moderne oder lieber die Teeschale mit Kranich der Sammlung Ostasien? Spontan fällt die Entscheidung für die filigrane Schakal-Kleinplastik des Gottes Anubis. Besonders reizvoll ist für mich die schnörkellose Darstellung des Tieres. Bei ägyptischen Kleinplastiken oder Reliefs fallen immer wieder die reduzierten Formen ins Auge. Die Betonung der Außenlinien wirkt zudem stark grafisch und erleichtert ein Begreifen des Dargestellten. Auch lässt sich durch die Verwendung von gewohnten Tieren als Götterfiguren ein direkter Bezug zum eigenen Umfeld herstellen, so dass man sich den Göttern sehr nah fühlen kann. Diese Figur gehörte zu einem Deckel eines kleinen Sarges, was in Verbindung zur Bedeutung des Anubis steht. So war Anubis, Sohn des Osiris und der Isis, der Gott der Nekropole und verantwortlich für das rituelle Vorbereiten des Leichnams, vor allem die Balsamierung, Mundöffnung und die Bestattungszeremonie. Der Gott geleitete den Verstorbenen vor Osiris, wog das Herz ab und führte den Toten in das Jenseits.
Annika Pohl-Ozawa, Registrar
Amulett mit Bezoarstein
Der in vergoldetes Silber gefasste Bezoarstein ist ein in mehrfacher Hinsicht rätselhaftes Objekt. 1952 wurde er aus der Sammlung von Johannes Jantzen erworben. Da der Bremer Jurist und Kunsthändler mit dem NS-Regime zusammenarbeitete, wurde die Herkunft des Bezoars recherchiert, um einen unlauteren Erwerb auszuschließen. Doch seine Geschichte ließ sich bisher nicht klären. Ein orangenes Dreieck weist nun darauf hin, dass er im Rahmen der Provenienzforschung im MK&G untersucht wird. Bezoaren sagt man seit dem Mittelalter geheime Kräfte nach. Sie sollen vor Giften in der Nahrung schützen. Diese Wirkung leitet sich aus ihrer Entstehung ab. Die auch als Magensteine bezeichneten Bezoare binden unverdauliche Nahrungsreste in den Mägen von Wiederkäuern. Werden die Verklumpungen ausgespien, trocknen sie steinartig aus. Die Bezeichnung Bezoar leitet sich vom persischen „padzahr“ ab, dem Wort für Gegengift. Die besonders großen Steine kommen vermutlich aus dem Nahen Osten und stammen von Kamelen. Als Sammelstücke kamen sie seit dem 16. Jahrhundert poliert oder kostbar gefasst in die Kunstkammern. Der Bezoar im MK&G hat eine Öse und kann an einer Kette zum Schutz auch um den Hals getragen werden.
Dr. Silke Reuther, Provenienzforschung
Prunktisch
Für seinen 1851 gefertigten Prunktisch erhielt der Hamburger Möbeltischler Carl Friedrich Heinrich Plambeck einen Preis auf der Weltausstellung in London. Der aufwendig gestaltete Tisch wurde gar als eine der „schönsten Arbeiten“, die dort gezeigt wurden, bezeichnet. Um sein Können zu demonstrieren, verwendete Plambeck neben exotischen Hölzern dünn geschnittenes Perlmutt, Elfenbein und Metall zur kunstvollen Oberflächenverzierung. Das Besondere sind für mich jedoch die farbigen Einlagen. Sie bilden Hintergründe, Blumengirlanden sowie Kleidung in kräftigen Farben. Was ist das für ein Material, habe ich mich immer gefragt. Der frühere MK&G Möbel-Restaurator Horst Krause hat diesen Tisch Anfang der 1980er Jahre restauriert und mich als damalige Praktikantin auf die beachtenswerte Technik aufmerksam gemacht. Tierischer Leim, versetzt mit blauen, roten, gelben oder grünen Pigmenten, ist als dünne Platte ausgegossen und wie Furnier ausgesägt worden. In einem relativ kurzen Zeitraum um die Mitte der 1850er Jahre fand diese farbenfrohe Technik an Möbeln in ganz Deutschland Verwendung.
Carola Klinzmann, Restauratorin Möbel und Holzobjekte
Skulpturengruppe Janus, Mars und Minerva
„Mehr als die Vergangenheit interessiert mich die Zukunft, denn in ihr gedenke ich zu leben.“ Dieser Satz von Albert Einstein, kommt mir beim Betrachten der Skulptu- rengruppe in den Sinn. Janus, der Gott mit zwei Gesichtern, eines jung, das andere vom Alter gezeichnet, ist omnipräsent. Jugend und Alter vereinend symbolisiert er Vergangenheit und Zukunft, Anfang und Ende. Vor ihm kniet Minerva. Trauert sie, die Schutzgöttin des Krieges, der Weisheit und der Künste, der Vergangenheit nach? Oder erhofft sie sich eine Antwort vom gealterten Janus, um eine drohende Gefahr abwenden zu können? Konträr dazu steht Mars, der Gott des Krieges und der Gewalt, in siegessicherer Pose vor Janus, ohne ihn eines Blickes zu würdigen. Unbeirrt verfolgt er seine brachiale Kriegsführung, steht dabei jedoch in Konkurrenzkampf mit Minerva. Denn sie verkörpert Intelligenz und Strategie, Eigenschaften, die ihr schon einmal dazu verholfen haben gegen Mars zu bestehen. Faszinierend finde ich nicht nur die Umsetzung des antiken Mythos, sondern auch die Aktualität der barocken Skulptur. Wir alle sollten aus der Vergangenheit lernen und auf die richtige Entscheidung setzen, mit der wir auch in Zukunft leben können.
Franziska Schmottlach, Praktikantin Sammlung Europäisches Kunsthandwerk und Skulptur
Daguerreotypie
„Jüngling sich die Brille aufsetzend“ heißt es lapidar auf der Inventarkarte zu dieser für ihre Zeit ungewöhnlichen Daguerreotypie. Bei ihrer Patentierung 1839 war die Daguerreotypie zwar das erste praxistaugliche fotografische Verfahren, ihre Herstellung aber aufwendig: Als Bildträger dienten versilberte Kupferplatten, die poliert, mit Jod lichtempfindlich gemacht und gleich nach der Aufnahme in hochgiftigem Quecksilberdampf entwickelt werden mussten. Jedes Bild war ein kostspieliges Unikat. Entsprechend repräsentativ und in feierlicher Pose ließ sich die gutbürgerliche Kundschaft in den Ateliers vor drapierten Vorhängen und gemalten Landschaftskulissen in Szene setzen. Der „Jüngling“ schert sich überraschend wenig um diese Konventionen, wenn er mit leicht angestrengtem Blick an der Kamera vorbeischaut und sein Gesicht mit den erhobenen Händen und der halb aufgesetzten Sehhilfe verdeckt. Bis zu einer halben Minute musste er für diese scheinbare Momentaufnahme vor der Kamera stillhalten. Ob diese Fotografie als Sinnbild erhellen sollte, wie das neue Medium die Blicke schärft, wird ein Geheimnis bleiben – weder Porträtierter noch Fotograf*in sind bekannt. Ihr Werk aber ist eine Einladung, im Detailreichtum dieser fotografischen Miniaturen auf Entdeckungsreise zu gehen.
Sven Schumacher, Sammlung Fotografie und neue Medien
Antike Rippenschale aus Glas
Zwischen all den großartigen Objekten der Antikensammlung, den Vasen, den Skulpturen, der Kleinkunst, sticht sie optisch hervor: Die kleine römische Rippenschale aus Mosaikglas, deren intensives Blau den Blick des Betrachters in den Bann zieht. Dieses Blau wird durch ein weißes Spiralmuster mit einer dreidimensionalen Anmutung nochmals hervorgehoben. Aber diese Schale beeindruckt mich nicht nur wegen der hinreißenden Farbe. Der Künstler hat dafür alle Register seines Könnens gezogen, in das damals schon jahrhundertelange Erfahrungen im Umgang mit dem kostbaren Material kulminierten. Die farbenfrohe Wirkung des Glases zielte darauf ab, Gefäße aus Edelsteinen wie Achat nachzubilden, wobei man der Phantasie und dem Zufall freien Lauf ließ. Und das Erstaunlichste: Trotz des fragilen Materials hat die Glasschale die Jahrtausende nahezu unbeschadet überdauert. Das mag vielleicht dem glücklichen Umstand zu verdanken sein, dass sie als Grabbeigabe diente, oder aber auch der Tatsache, dass man diese kleine Kostbarkeit über die Zeitläufte hinweg immer zu schätzen und zu schützen wusste. Das Rätsel ihrer genauen Herkunft, ihrer Besitzer und ihres Weges durch die Geschichte tragen für mich darüber hinaus zur Faszination bei, die dieses Objekt ausstrahlt.
Ulrike Blauth, Marketing
Impressionen aus dem Erdgeschoss