2. OG
Neben Sonderausstellungen und wechselnden Präsentationen der Sammlungen Ostasien, Fotografie und neue Medien, Grafik und Plakat finden Sie hier ein eindrucksvolles Zeitdokument: Einen Teil der legendären, in den 1960er Jahren vom dänischen Designer Verner Panton gestalteten Kantine aus dem Spiegel-Verlag.
Lieblingsobjekte
Kanne in Form eines Schriftzeichens
Sieht man die Deckelkanne aus Porzellan zum ersten Mal, so sticht diese unmittelbar durch ihre außergewöhnliche Form hervor. In ihrer flachen und in die Breite ausgerichteten Gestaltung mit mehreren Durchbrüchen nimmt sie die Form des Schriftzeichens fú 福 an. Das für Glück stehende Zeichen wird durch das Abgrenzen verschiedenere Bereiche durch Stege hervorgerufen, sodass sich das „Schreiben“ des Zeichens vom Deckel ausgehend nachverfolgen lässt. Die während der Regierungszeit des Kangxi-Kaisers (1662–1722) geschaffene Kanne zeichnet sich durch ihre farblich grüne Gestaltung aus, die durch Blüten und Schmetterlinge ergänzt wird. Auf zwei blattförmigen Kartuschen sind Szenen mit daoistischen Gottheiten zu sehen. So ist der Gott des langen Lebens Shoulao zu sehen, dem ein Knabe einen großen Pfirsich, ein Symbol des langen Lebens, reicht. Die Fledermaus ist durch ihre gleiche Aussprache wie das Glück, fú 福, auch ein Glückssymbol. Jedoch ist es weniger diese wiederkehrende Symbolik des Glückes und des langen Lebens, die mich an diesem Objekt fasziniert, sondern deren technische Ausführung. Mir macht es Spaß, vorzustellen, wie das Wasser durch die Kanne fließt und dabei das kalligrafische Schreiben durch den Fluss des Wassers nachempfunden wird. Ergänzend durch den geflochten anmutenden Griff und Ausguss wird nicht nur das Spiel mit dem Material, sondern insbesondere der dynamische und fließende Charakter der Kanne hervorgehoben.
Tobias Eckmann, Sammlung Ostasien und Islamische Kunst
Stuhl SOLID / Heinz Landes
Jedes Mal, wenn ich an diesem Stuhl vorbeigehe, muss ich mich zusammennehmen, nicht doch mal kurz Probe zu sitzen. Wie sitzt es sich wohl auf diesen sechs gebogenen Eisenstangen, die in einem Stück Beton stecken? Kann ein solcher Stuhl bequem sein? Er sieht jedenfalls nicht danach aus. Vielleicht ging es dem Designer Heinz H. Landes auch nicht um Bequemlichkeit, sondern um ein Austarieren der Grenzen zwischen Kunst und Design. Über seine Möbel sagt er, „sie entstanden aus Freude am Primitiven und Brutalen, die verursachen so manchem Jammerlappen Druckstellen, aber das geht schon in Ordnung.“ Der Freischwinger „Solid“, von dem in den 1980er Jahren nur rund 30 Exemplare hergestellt wurden, gilt als bedeutendes Exemplar des Neuen Deutschen Designs. Diese konstruktive Kritik am jahrzehntelang von der Bauhaus-Schule bestimmten Industriedesign wird hier regelrecht in Beton gegossen. Durch die brachiale Ausführung sieht er aus wie ein Fundstück aus einer Großbaustelle und doch wirkt die Konstruktion luftig im Raum. Die Eigenschaft des Soliden, die dem Stuhl seinen Namen verlieh, steht plötzlich infrage, obwohl er zu den ersten Möbeln überhaupt gehört, bei dem Beton als Material verwendet wurde. Ein ironischer Kunstgriff, wie ich finde, diese Idee von einem Stuhl.
Dominik Nürenberg, Kommunikation
Bildteppich / Johanna Schütz-Wolf
Oft bleibt mein Blick im Vorbeigehen an diesem Bildteppich hängen, weil mich das Motiv und seine Umsetzung immer wieder beeindrucken. Ein Mädchen pflückt eine Blume. Eine kleine blaue Schale steht neben ihr auf dem Boden. Hinterfangen wird das Geschehen größtenteils von einer schwarzen Fläche, rechts ist im Anschnitt ein Haus zu erkennen. Erschaffen hat diesen Bildteppich die Künstlerin Johanna Schütz-Wolff 1929. Sie versteht das Weben nicht als Handwerk, sondern als Grundlage ihrer kreativen Ausdrucksmöglichkeiten. Ohne vorherigen Entwurf beginnt für sie der schöpferische Vorgang beim Umgang mit Material und Technik. Mit dem Wechsel von Kette und Schuss in der textilen Bindung erzeugt die Gestalterin unterschiedliche Strukturen und Plastizität, schafft dadurch die Räumlichkeit der Szene. Die Farbigkeit ist dabei zurückhaltend: Schwarz und Grautöne dominieren, Akzente werden durch die Grundfarben Rot, Gelb und Blau sowie etwas Grün gesetzt. Was mich an diesem Bildteppich besonders fasziniert, ist eben dieses Spannungsfeld zwischen der Reduktion der Stilmittel und der Ausdrucksstärke der Darstellung, die Spielraum für Interpretationen lässt. Alles in dieser Szene scheint in der Schwebe: Die auf der Erde stehende blaue Schale gerät durch die Linie darunter, die wie eine Kante wirkt, scheinbar aus dem Gleichgewicht. Pflückt das Mädchen mit der kecken Bubikopffrisur die einzige Blume tatsächlich oder zögert es noch? Blickt es mich an oder doch eher in die Ferne?
Ulrike Blauth, Marketing
Wiggle Side Chair / Frank Gehry
Dieser besondere Stuhl von Frank Gehry verleiht dem Wort „Wellpappe“ eine ganz andere Bedeutung! Der „Wiggle Side Chair“ zählt zu der Serie „Easy Edges“, die der Architekt und Designer 1969–1972 in Karton entwirft und die bis heute gefertigt wird. Bevor ich dem „Wiggle Side Chair“ begegnet bin, habe ich mit dem Namen Frank Gehry etwas ganz Anderes verbunden: das Guggenheim Museum in Bilbao. Das Museum ist vielleicht eines der bekanntesten Gebäude, das er als Architekt entworfen hat. Der riesige Museumsbau zeichnet sich durch eine geschwungene und mit Metallplatten verkleidete Fassade aus. Der ganze Komplex erinnert an eine monumentale, schillernde Skulptur. Auch der Wiggle Side Chair hat den Anschein einer Skulptur voller faszinierender Spannung, nur in etwas kleinerem Format. Der braune Karton wirkt als wäre er weich geworden und hätte sich in diese, für das Material so ungewöhnlichen, Wellen gelegt. Durch die kleinen Lücken zwischen den einzelnen Bögen entsteht der Eindruck, als würde der Stuhl federn, wenn man sich darauf setzt. Testen konnte ich das noch nicht, aber mit Sicherheit ist der Wiggle Side Chair, anders als Form und Name erst mal vermuten lassen, ziemlich stabil.
Hannah Neufang, Besucher*innenservice
Filzhocker / Frank Schreiner
Bei diesem Hocker musste ich zweimal hinsehen: 1992 fertigt Frank Schreiner, der als einer der Vertreter des Neuen Deutschen Designs gilt, unter dem Namen Stiletto Studios den „Filzhocker“. Er besteht aus dickem, zusammengerolltem Nadelfilz, der oben und unten von Stahlbändern zusammengehalten wird. Die Stahlbänder bilden einen spannenden Kontrast zu der rauen Beschaffenheit des Filzes. Sowohl der maschinell gefertigte Nadelfilz, als auch das Stahlband sprechen von Industrie und Handwerk, obwohl die Rolle kaum bearbeitet erscheint. Die Verwendung von Objekten, die kaum durch die jeweiligen Künstler*innen manipuliert werden, sogenannten Readymades, regt seit dem frühen 20. Jahrhundert an Gesehenes zu hinterfragen. Stiletto Studios nimmt in ähnlicher Weise 1983 mit einem zurechtgebogenen, metallenen Einkaufswagen, dem „Consumer’s Rest Lounge Chair“, Bezug auf Designklassiker, wie den „Wire Chair“ von Charles und Ray Eames oder den „Diamond Chair“ von Harry Bertoia. Dem „Filzhocker“ gelingt es ebenfalls, zum Nachdenken anzuregen. Denn wenn er nicht so heißen würde, wäre ich mir nicht so sicher, ob ich ihn als Hocker erkannt hätte.
Hannah Neufang, Besucher*innenservice
Knotted Chair / Marcel Wanders
Als Kind war ich ein großer Fan der WDR-Fernsehsendung „Wissen macht Ah!“. Egal wo und mit wem ich unterwegs war, die Neugier an meiner Umgebung schien unstillbar. Das Interesse konnte ich mir im Erwachsenenalter zum Glück beibehalten. Nun arbeite ich in einem Museum, quasi an der Quelle zu all den Geschichten und Erzählungen hinter den Objekten. Eine von ihnen, die mich zuletzt sehr faszinierte, war die zur Herstellung des Knotted Chairs des niederländischen Designers Marcel Wanders. Die komplexe Netzstruktur vereint gleich mehrere Aspekte, die mich begeistern: für die Knüpftechnik greift er auf das Wissen vieler Jahrzehnte zurück und verbindet dieses mit der Verwendung innovativer Hightech-Materialien. Die Aramidfaser wirkt zart, ist jedoch durch ihren Carbonkern enorm belastbar. Die Struktur wird nach dem Knüpfen in Epoxidharz getränkt und zum Aushärten aufgehängt. Die Schwerkraft verleiht dem Stuhl schließlich seine charakteristische parabolische Form von Sitz und Lehne – ziemlich cool, oder?
Berit Reutershan, Projektassistenz Sammlung Kunstgewerbe und Design
Bronzefigur Pferd
Als Teenager hatte ich eine kurze Pferdemädchen-Phase. Diese erhabenen Tiere faszinieren mich bis heute. Was ich an der Bronzefigur „Pferd, sich beißend“ von Gustav Heinrich Wolff (1886–1934) so mag, ist die Beiläufigkeit der Bewegung. Dieser bestimmte Augenblick, die wendige Drehung, die im Gegensatz zu der abstrahierten Figur steht – darin liegt für mich die Schönheit dieser kleinen Skulptur. Sie erinnert auch an die blauen, roten oder gelben Pferde von Franz Marc, einer der wichtigsten deutschen Expressionisten und Zeitgenosse von Gustav Heinrich Wolff, dessen Malereien wie exakt komponierte Bewegungsstudien erscheinen. Das Pferd von Gustav Heinrich Wolff ist im 2. Stock ausgestellt. Im MK&G befindet sich der größte zusammenhängenden Werkbestands des Künstlers mit Zeichnungen, Skulpturen und Druckgrafik. 1937 wurden 17 Werke von Wolff von den Nationalsozialisten als „Entartete Kunst“ aus der Sammlung entfernt, 20 Jahre später zeigte das Haus die erste Retrospektive des Künstlers.
Gudrun Herz, Pressesprecherin
Plakat gegen Kinderarbeit
Wo ich auch langfahre, überall sehe ich Werbung im Stadtraum. An jeder Haltestelle wird für irgendetwas Lebensveränderndes geworben. Eigentlich ignoriere ich die meisten dieser Werbebanner, aber manchmal stolpert man über eins, weil es anders ist und bleibt gedanklich hängen. Bei dem Plakat „Ein Herz für Kinderarbeit –H&M“ von Dies Irae bleibe ich immer wieder gedanklich hängen. Dieses anonyme Künstlerkollektiv bringt Plakate mit gesellschaftskritischen Themen vor allem in Werbekästen von Haltestellen an. So hing auch das Plakat in der Ausstellung „audio-grafisch“ ursprünglich einmal im öffentlichen Raum und hat Menschen hoffentlich dazu angeregt, sich durch dieses Adbusting nicht nur von Werbebotschaften berauschen zu lassen, sondern über relevante Fragestellungen an unsere Gesellschaft nachzudenken. Plakate können nicht nur riesige Werbeträger sein, sondern einzelne Menschen zum Nachdenken und Diskutieren bringen, wofür ich dieses Plakat sehr schätze.
Katharina Müller, Sammlung Grafik und Plakat
Salzgefäß Oktopus
Das silberne Salzgefäß von Alexander Schönauer aus dem Jahr 1902 erinnert mich daran, dass es vor dem Aufkommen des Salzstreuers gängig war, das Gewürz mit den Fingern aus einer Schale zu greifen. Darauf verweist auch die Angabe „eine Prise Salz“, die die Menge bezeichnet, die sich zwischen Daumen und Zeigefinger fassen lässt. Die tastenden Tentakel des Oktopus, der Schönauers Schale umschlingt, lassen mich an die Finger einer Hand denken, die in eine Masse aus unzähligen Körnchen greift und dabei deren Struktur spürt. Vom Greifen zum Begreifen ist es nicht nur sprachlich ein kurzer Weg. So verändern neue Werkzeuge, wie zum Beispiel der Salzstreuer, auch immer, wie wir unsere Umwelt erfahren und verstehen. Sie vermitteln zwischen uns und der Umgebung und beeinflussen, in welchem Verhältnis unser Körper zu der Materie um uns herumsteht. Der Oktopus als Wesen, dessen Denk- und Sinnesapparat sich deutlich von dem meinen unterscheidet, steht für mich als Symbol dafür, dass die Welt ganz unterschiedlich wahrgenommen wird. Er lädt mich dazu ein, physisch die Materialität zu begreifen, die mich umgibt und dabei im Hinterkopf zu behalten, wie sehr mein Erleben von meinem Wahrnehmungsapparat sowie den Dingen in meinem Umfeld geprägt ist.
Anna Gröger, Werkstudentin Sammlung Kunstgewerbe und Design
Minaudière
Klein, aber fein ist dieses Ei: Eine sogenannte Minaudière, eine Handtasche im Microformat, gerade mal so groß wie ein Gänseei. An der Lederschlaufe baumelt sie lässig am Handgelenk. Das Ei selbst ist aus Metall gegossen und vergoldet, mit der Anmutung eines Handschmeichlers. Geöffnet offenbaren sich zwei Hälften: eine wird durch den Spiegel, die andere durch zwei kleine Deckel verschlossen. Platz darin findet vielleicht gerade mal ein Kaugummi. Als treue Begleiter bewahren Handtaschen für uns das Notwendige (Geldbeutel, Schlüssel, Handy), aber auch Sonderbares und Unnützes. Wer trägt jedoch eine solche Tasche ohne wirkliche Aufbewahrungsfunktion? Die eiförmige Tasche soll aus dem Besitz von Königin Nariman von Ägypten (1933–2005) stammen, bevor die Design-Sammlerin Anne Lühn sie erwarb. Eine Königin benötigt ihre Tasche nicht als Gebrauchsgegenstand, um sich für jede Gelegenheit zu rüsten. Dafür hat sie Personal. Das Accessoire als Statussymbol? Diese Art winziger Taschen waren in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts beliebte Accessoires. Auch heute sieht man sie wieder vermehrt auf den Laufstegen. In der Ausstellung „Dressed“ ist das goldene Ei mit weiteren Taschen in einer Vitrine zu sehen. Das Konvolut von Anne Lühn zeigt ihre Vorliebe für Design mit Humor und einem gewissen Twist. Eine eggcelente Sammlung!
Maria Stabel, Sammlung Mode und Textil
Glückbringende Genien
Schlechte Laune? Nicht bei diesen beiden Kerlchen, verkörpern sie doch nur Erfreuliches: Sie spenden Segen und Harmonie für Brautpaare, sorgen für Glück und ein langes Leben. Es handelt sich um Bildnisse chinesischer Schutzgeister, entstanden in der Ära des Kaisers Kangxi, zwischen 1662 und 1722. Gefertigt sind sie aus feinstem Porzellan mit Schmelzfarben. Sie gehören zur sog. famille verte, einer Porzellangattung, die nach dem vorherrschenden grünen Farbton benannt ist. Die Gewänder, Jacken über langen Roben, sind farbenprächtig mit Glück bringenden Blüten, vornehmlich Lotos, und Schmetterlingen versehen. Ihre Frisuren, mit geknotetem Schopf auf dem kahlrasierten Schädel, waren topmodisch in der Qing-Zeit, könnten aber auch heutzutage in der Hipster-Szene standhalten. Ihr Lächeln mit den geöffneten Lippen gibt die beweglichen Zungen preis. In den Händen halten sie Lingzhi-Zunderschwämme, die in China seit jeher als Heilpilze Verwendung fi nden und daher als Symbole der Unsterblichkeit gelten. Selbst die Sockelplatten der Figuren stehen für Wohlergehen: Sie gleichen in ihrer Form Silberbarren, in China das über Jahrhunderte hinweg beständigste Zahlungsmittel.
Ulrike Blauth, Marketing
Armband
In einer der historischen Holzvitrinen der „Hamburger Moderne“ ist dieses Armband von 1931 ausgestellt. Wie neuartig und progressiv es doch in seiner hochglänzenden Veredelung und kühlen Ästhetik wirkt! Acht rechteckige Metallplatten sind über Drähte und Röhrchen beweglich aneinandergefügt – ergeben ein prismenförmiges Gebilde mit Knopfverschluss. Verziert mit einem gestanzten Lochdekor, erinnert es an ein Windlicht und ist doch als Schmuckstück konzipiert. Der in Kiew geborene und von 1924 bis 1933 in Hamburg lebende Goldschmied und Beleuchtungsarchitekt Naum Slutzky hat dieses Armband entworfen und in einfacher Montagetechnik aus verchromten Messingteilen angefertigt. Als extravagantes Accessoire wendet es sich an die moderne Frau der 1930er Jahre, die für technischen Fortschritt und gesellschaftlichen Wandel steht und den unedlen Avantgarde-Schmuck in seiner eigenen Schönheit erkennt. Das Armband ist für mich neben all den anderen Slutzky-Arbeiten ein schönes Beispiel für die besondere Kreativität des Künstlers, der vor seiner Hamburger Zeit für die Wiener Werkstätte und das Weimarer Bauhaus arbeitete. Mit seinen Entwürfen hat er traditionelle Gestaltungs- und Herstellungsweisen von Schmuck in Frage gestellt und neue Wege aufgezeigt.
Susanne Sauerbrunn, Digitale Inventarisierung
Die neue Hausschrift SCTO
LK: Ich find‘ sie gut.
JM: Echt? Warum?
LK: Das ganze Corporate Design ist viel frischer. Früher hat es mich tatsächlich nicht so gereizt ins MK&G zu gehen, weil es bieder und verstaubt wirkte.
JM: Aber ist die neue Hausschrift, die SCTO, nicht irgendwie anachronistisch? Sie ist der „White Cube“ unter den Schriften. Ihre schlichten Formen behaupten eine Neutralität, die es nicht gibt. Und gerade heute wird doch zurecht gefordert, dass Museen sich nicht als neutrale, objektive, unhinterfragbare Institutionen präsentieren.
LK: Schon, aber es ist doch genauso unrealistisch zu behaupten, das ganze Museum spreche mit EINER Stimme. Genau deshalb werden der SCTO ja weitere Schriften zur Seite gestellt.
JM: Damit die Vielstimmigkeit und Gestaltungsfreude des MK&G deutlich wird?
LK: Genau. Sehr auffällige Schriften sogar. Die SCTO hingegen nimmt sich angenehm zurück, fällt quasi gar nicht auf.
JM: Was super ist, um den Exponaten und Inhalten der Texte nicht die Aufmerksamkeit zu streitig machen.
LK: Und das Logo ist ja auf allen Medien sehr präsent, das Museum zeigt sich also als Absender
JM: Wie recht Du hast. Liebe auf den zweiten Blick.
Gespräch zwischen Lucia Köhn und Julia Meer, Sammlung Grafik und Plakat
Teller mit Pfirsichen und Fledermäusen
Acht Pfirsiche und fünf rote Fledermäuse verteilen sich dynamisch über diesen Teller. Um sie alle zu entdecken, muss man ihn wenden und kann dabei gleich die kaiserliche Marke „Da Qing Yongzheng Nian Zhi“, „gefertigt in der Yongzheng-Ära der großen Qing-Dynastie“, bewundern. Die spielerische Verteilung des Motivs und leuchtenden Farbnuancen auf Porzellan sind charakteristisch für die Yongzheng-Ära. Die reifen Früchte sehen nicht nur appetitlich aus, sondern symbolisieren als Pfirsiche der Unsterblichkeit langes Leben. Dass es gleich acht sind, steigert die gewünschte Langlebigkeit ins Unendliche, schließlich klingt „ba“ für Acht im Chinesischen ganz ähnlich wie „fa“ für Erfolg. Auch die Fledermäuse gelten in China wegen ihres Gleichklanges „fu“ mit Segen als Glückssymbol. Ihre rote Farbe steht für Überfluss und Lebensglück. Die Zahl fünf verweist zudem auf die fünf Segen: Reichtum, Glück, Langlebigkeit, Glückseligkeit und Wohlstand. So viel farbenfrohes Glück ist einfach ansteckend. Für mich ist dieses Lieblingsobjekt jedenfalls immer wieder eine Quelle guter Laune.
Wibke Schrape, Kuratorin, Leitung Sammlung Ostasien und Islamische Kunst
Plakat für Galerie Le Point Cardinal
Victor Vasarely (1906–1997) gilt als Begründer der Op-Art. Seine farbgewaltigen Illusionen fordern unser Auge, unser Gehirn heraus: flimmernde Formen, hypnotische Bilder, pulsierende Muster. Dabei bedient er sich medizinischer und mathematischer Erkenntnisse der Wahrnehmung und prägt die schillernde Zeit der 1960er und 1970er Jahre entscheidend mit. Besonders mag ich seine Arbeiten im Übergang vom Gegenständlichen zum Abstrakten, wie diese. Fast leise löst Vasarely unsere gelernten Zeichensysteme und Sehgewohnheiten auf, die wie Schablonen auf der Welt liegen. Wir haben täglich mit einer Flut von Bildern, Texten und Informationen zu tun. Müssen filtern, fokussieren, effizient sein, brauchen Ordnung und Struktur. Auch in diesem Bild sucht unser Auge Vertrautes, will deuten, verstehen. Vergeblich. Und befreiend. Hinter den einzelnen Formen, Zeichen und Farben erscheint alles Unsagbare und Unabsichtliche. Eine große Weite tut sich auf. Man kann den Blick nicht lösen, man schaut, kommt zu Ruhe, die Gedanken schweifen.
Michaela Hille, Pressesprecherin
Kanne in Bambusform
Diese Kanne in ihrer naturinspirierten Form hat mich schon beim ersten Rundgang durch die Ausstellung „Made in China! Porzellan“ fasziniert. Alle ihre Bestandteile – Körper, Henkel, Tülle und Deckel – sind in der Form eines Bambusstammes gestaltet. Selbst den Deckel ziert eine kurze geschwungene Bambusstange als kleiner Griff. Ich stelle mir vor, wie man sich mit diesem Kännchen Tee einschenkt. Die Haptik muss der eines Bambus wohl sehr nahe kommen. Auch die Farben passen zur Bambusform. Der / die Keramiker*in hat den unglasierten Porzellankörper mit Aufglasurfarben bemalt, was die Farben kräftiger macht und stärker leuchten lässt. Drei Farben – auf Chinesisch sancai – wurden für diesen Glasurauftrag verwendet: Gelb-Braun, Grün und Blau, im Englischen treffend als „Egg and Spinach“ bezeichnet. Die zwölf Bambusstämme des Gefäßkörpers variieren in diesen Farben und die einzelnen Abschnitte zeigen mit feinen schwarzen Linien gezeichnete Pflanzen und Vögel. Symbolisch steht der Bambus für ein langes Leben und Standhaftigkeit, da er auch im Winter wächst und blüht.
Katja Weingartshofer, Volontärin Bildung und Vermittlung
Ornamentstich Doppelpokal
In der Ausstellung „Funktion und Vielfalt“ wird derzeit ein ca. aus dem Jahr 1560 stammender Kupferstich des Nürnberger Goldschmiedes Virgil Solis (1514 – 1562) präsentiert. Das Blatt zeigt einen Doppelpokal - ein Gefäß, das über eine außergewöhnliche Form verfügt – zwei formähnliche Pokale, die mit den Lippenrändern aufeinander gesetzt sind, so dass der obere für den unteren als Deckel dient. Die Anfertigung eines Pokals gehörte in vielen Goldschmiedezünften zu den Anforderungen an das Meisterstück, es wurde ihm eine Rolle im Hochzeitsbrauchtum zugeschrieben und oft diente er als repräsentatives Geschenk. Meine Aufmerksamkeit weckt nicht nur die schlichte, harmonische Form des Pokals, die die feinen Goldschmiedetechniken und Ornamentformen des 16. Jhs. verrät, sondern auch die Funktion des gedrucktes Blattes selbst. In der Renaissance diente es den Handwerkern als Vorlage und vermittelte die aktuellsten Stilformen. Später, im 19. Jh., als sogenannter Ornamentstich, ist es zum Studien- und Sammelobjekt von vielen europäischen Kunstgewerbeschulen und Museen geworden. Der Gründungsdirektor Justus Brinckmann hat eine imposante Kollektion der ornamentalen Vorlagen geschaffen, die auch heute noch eine wertvolle Grundlage für die Museumsarbeit bildet.
Dr. Joanna Kłysz-Hackbarth, Sammlung Grafik und Plakat
Cocktailkleid
Das knallrote Kleid mit dem asymmetrischen Reifrock gehört zu meinen persönlichen Lieblingsobjekten, denn trotz der Signalfarbe und der außergewöhnlichen Silhouette ist es von zeitloser Eleganz. Es weist Merkmale des klassischen Cocktailkleides auf, wie ein figurnahes, ärmelloses Oberteil und einen halblangen Rock, und ist ohne Zweifel bei allen gesellschaftlichen Anlässen am Platz, die kein langes Abendkleid verlangen. Yohji Yamamoto würzt diesen Typus der westlichen Damengarderobe mit einem weiteren Zitat aus der Modegeschichte: dem Reifrock. Durch die Verschiebung der Formen verlässt dieser jedoch die strenge Symmetrie der Körperachsen. So entsteht ein Kleidungsstück mit dynamischer Wirkung, wie von einem Windstoß erfasst. Yamamoto formulierte 1990 in einem Interview seinen Anspruch, dass seine Entwürfe tragbar sein müssten, erst die Benutzung mache Prêt-à-Porter Kleidung vollständig. Sie sind keine reinen Kunstobjekte. Mit diesem Kleid, einer Schenkung aus Privatbesitz, ist der Anspruch eingelöst, es ist extravagant und tragbar zugleich.
Angelika Riley, Kuratorin, Leitung Sammlung Mode und Textil
Impressionen aus dem 2. OG