Kunstgewerbe und Design
Rund 15.000 Objekte dokumentieren über 200 Jahre Gestaltungsgeschichte, vom Biedermeier bis Bauhaus, von Braun-Produkten bis zum italienischen Anti-Design. Dauerhaft ausgestellt sind Werke bedeutender Künstler*innen wie Lyonel Feiniger, Erich Heckel, Lavinia Schulz und Walter Holdt. Ebenso wie die weit über die Landesgrenzen hinaus bekannten Jugendstil-Exponate, die im 1. OG zu sehen sind. Die historisch relevante Sammlung ist Plattform für Diskurse rund um die Zukunft der Gestaltung, die in Ausstellungen und Projekten debattiert wird.
Lieblingsobjekte
Schmuckanhänger „Winterlandschaft“
Wenn die Tage kürzer werden, die Temperaturen sinken und der erste Schnee fällt, erstarrt die Welt. Der kalte, tiefblaue See kontrastiert mit der unter einem weißen Schleier liegenden Landschaft, die Bäume und kahlen Stämme in der Nähe mit dem hoch aufragenden Berg in der Ferne. Nichts regt sich mehr. Die Geräusche verstummen. Die Natur hält den Atem an. Meisterhaft hat der französische Schmuck- und Glaskünstler René Lalique (1860–1945) diese Stimmung in seinem kleinen Anhänger eingefangen. Der zarte goldene Rahmen mit feinen Blättern am oberen und unteren Ende gibt den Blick in eine andere Welt frei. Und dennoch vermag er das Bild nicht zu kontrollieren. Links bricht eine verschneite Tanne aus dem Bildfeld heraus. Fast nebensächlich wirkt der blaue Saphir am unteren Ende, und doch greift er die Farbe des Wintersees auf. Neben der Faszination für das Objekt selbst, erinnert mich der Anhänger an eine Reise nach Cleveland zu einer großartigen Ausstellung, die den Künstlern René Lalique, Louis C. Tiffany und Peter Carl Fabergé gewidmet war. Hier wurden die bei der Pariser Weltausstellung im Jahr 1900 gezeigten Objekte – soweit möglich – wieder zusammengeführt. Dazu zählte auch dieser um 1899 entstandene Anhänger. Wahrscheinlich handelt es sich um den einzigen bis heute ungebrochenen Glasemaille-Anhänger von René Lalique – ein zauberhaftes Stück!
Dr. Frank Hildebrandt, Kurator, Leitung Sammlung Antike
Knotted Chair / Marcel Wanders
Als Kind war ich ein großer Fan der WDR-Fernsehsendung „Wissen macht Ah!“. Egal wo und mit wem ich unterwegs war, die Neugier an meiner Umgebung schien unstillbar. Das Interesse konnte ich mir im Erwachsenenalter zum Glück beibehalten. Nun arbeite ich in einem Museum, quasi an der Quelle zu all den Geschichten und Erzählungen hinter den Objekten. Eine von ihnen, die mich zuletzt sehr faszinierte, war die zur Herstellung des Knotted Chairs des niederländischen Designers Marcel Wanders. Die komplexe Netzstruktur vereint gleich mehrere Aspekte, die mich begeistern: für die Knüpftechnik greift er auf das Wissen vieler Jahrzehnte zurück und verbindet dieses mit der Verwendung innovativer Hightech-Materialien. Die Aramidfaser wirkt zart, ist jedoch durch ihren Carbonkern enorm belastbar. Die Struktur wird nach dem Knüpfen in Epoxidharz getränkt und zum Aushärten aufgehängt. Die Schwerkraft verleiht dem Stuhl schließlich seine charakteristische parabolische Form von Sitz und Lehne – ziemlich cool, oder?
Berit Reutershan, Projektassistenz Sammlung Kunstgewerbe und Design
Stuhl SOLID / Heinz Landes
Jedes Mal, wenn ich an diesem Stuhl vorbeigehe, muss ich mich zusammennehmen, nicht doch mal kurz Probe zu sitzen. Wie sitzt es sich wohl auf diesen sechs gebogenen Eisenstangen, die in einem Stück Beton stecken? Kann ein solcher Stuhl bequem sein? Er sieht jedenfalls nicht danach aus. Vielleicht ging es dem Designer Heinz H. Landes auch nicht um Bequemlichkeit, sondern um ein Austarieren der Grenzen zwischen Kunst und Design. Über seine Möbel sagt er, „sie entstanden aus Freude am Primitiven und Brutalen, die verursachen so manchem Jammerlappen Druckstellen, aber das geht schon in Ordnung.“ Der Freischwinger „Solid“, von dem in den 1980er Jahren nur rund 30 Exemplare hergestellt wurden, gilt als bedeutendes Exemplar des Neuen Deutschen Designs. Diese konstruktive Kritik am jahrzehntelang von der Bauhaus-Schule bestimmten Industriedesign wird hier regelrecht in Beton gegossen. Durch die brachiale Ausführung sieht er aus wie ein Fundstück aus einer Großbaustelle und doch wirkt die Konstruktion luftig im Raum. Die Eigenschaft des Soliden, die dem Stuhl seinen Namen verlieh, steht plötzlich infrage, obwohl er zu den ersten Möbeln überhaupt gehört, bei dem Beton als Material verwendet wurde. Ein ironischer Kunstgriff, wie ich finde, diese Idee von einem Stuhl.
Dominik Nürenberg, Kommunikation
Toaster / Peter Behrens
Ich liebe Brot, noch mehr liebe ich geröstetes Brot. Seit einiger Zeit habe ich allerdings keinen Toaster mehr und denke oft darüber nach, ob ich einen neuen kaufen sollte. Ich würde gerne wieder warmes Brot essen, zum Beispiel am Sonntagmorgen. Teuer sind die meisten Toaster nicht, aber ich finde sie hässlich, sie nehmen viel Raum ein mit ihren Plastikgehäusen. In der Sammlung Kunstgewerbe und Design ist ein schöner Toaster aus den 1930er Jahren von Peter Behrens ausgestellt. Das Metall glänzt silbern und das ausgestanzte Muster wirkt filigran. Er ist klein, fast zart. Ich tagträume davon, dass so ein Modell den Weg in meine Küche findet und ich platzsparend und mit Stil endlich wieder toasten kann. Peter Behrens gilt als einer der ersten Industrie-Designer. In einer Zeit, in der um eine neue und zeitgemäße Art der Gestaltung industriell hergestellter Produkte gerungen wurde, hat Peter Behrens als ausgebildeter Maler nicht nur Toaster, sondern auch Gebäude, Schriften, Plakate und andere Haushaltsgegenstände entworfen. Ich frage mich, wie er heute Heißluftfritteusen, Power Mixer und elektrische Milchaufschäumer designen würde. Ich kaufe erst mal keinen neuen Toaster.
Marleen Grasse, Digitale Strategie / Projekt NEO Collections
Schachspiel / Josef Hartwig
Als leidenschaftlicher Vereinsspieler hat mich das moderne Schachspiel von Josef Hartwig bei meinem ersten Rundgang durch das MK&G sofort angezogen. Denn normalerweise finden sich nur die feinsten Bretter aus Marmor mit den prunkvollsten Figuren in einem Museum wieder. Doch die 1923/24 von Hartwig am Bauhaus in Weimar entworfenen Figuren setzen sich nur aus Würfeln und Kugeln zusammen und verzichten damit auf die kunstvollen Verzierungen klassischer Spielsteine. Die klaren, Bauhaus-typischen Formen deuten die jeweilige Art und Weise an, wie sich die Figuren auf dem Brett bewegen. Diese Reduzierung gefällt mir besonders gut und setzt den Fokus auf das in meinen Augen Wichtigste am Schach: Die Logik und Struktur des Spiels an sich. Es lassen sich sicherlich viele tolle und herrliche Geschichten rund um das „Spiel der Könige“ erzählen, doch mich faszinierte schon seitdem ich die Schachregeln lernte viel mehr die kühle, berechnende Seite. Heute ist eine Schachpartie für mich ein stundenlanges Ringen darum, wer konzentrierter bleiben, genauer analysieren und besser taktieren kann. Genau diese Idee von Schach erkenne ich in Josef Hartwigs zeitloser Interpretation wieder.
Marvin Müller, FSJ Kultur Kommunikation
Schmuckkamm
Die Gestaltung des einzigartigen Steckkamms lässt mich in die Zeit des Jugendstils um 1900 eintauchen. Ich stelle mir vor, wie ich in einem zeitgenössischen Kleid an einem Schminktisch in Paris sitze und mir meine Haare zurechtmache. Der hellbraune Kamm aus Horn wirkt auf den ersten Blick sehr schlicht. Grüne Blätter ranken durch die Rundungen und die eingearbeiteten Perlen stellen kleine Beeren dar. Bestimmt hat ein Mann diesen Mistelzweig beim französischen Hersteller Vever Frères als Geschenk für seine Frau gekauft, um ihr eine Freude zu machen. Das Schmuckstück wird in der Familie weitergeben und nur bei besonderen Anlässen getragen, bis es in der Vitrine im Museum landet und nun von vielen Augen bewundert wird. So ist es auch mir im Gedächtnis geblieben, seit meinem ersten Museumsbesuch. Daher besitzt das Accessoire für mich eine magische Anziehung und ist nicht nur ein Objekt. Es ist ein handgearbeitetes Werk, das auf schlichte Art und Weise eine tiefe Verbindung zur Natur präsentiert.
Marie-Josephine Grund, Praktikantin Bildung und Vermittlung
Teeservice
Damit würde ich mir gern einmal guten Tee servieren: Entstanden in Wien um 1904 strahlt das Service, bestehend aus Kanne, Milchgießer, Dose und Tablett, noch immer eine zeitlose Eleganz aus. In seiner strengen Formgebung gehört es exemplarisch zu den besten Arbeiten der geometrischen Phase der Wiener Werkstätte. Die schwarzen Ebenholzgriffe schützen bei der Kanne nicht nur die Finger vor der Hitze, sondern bringen den mattsilbernen Glanz der Oberfläche besonders zur Geltung. Gestaltet wurde es von Josef Hoffmann (1870–1956). Der Architekt und Designer war, neben Koloman Moser, Gründungsmitglied und einer der Hauptvertreter der Wiener Werkstätte. Bekannt ist, dass Kanne und Zubehör aus dem Nachlass des österreichischen Grafikers und Malers Carl Otto Czeschka (1878–1960) stammen, der es zeitlebens benutzte. Auch er war als Gestalter an der Wiener Werkstätte tätig. Das Fehlen jeglicher Gebrauchsspuren zeugt von der Wertschätzung seines Besitzers, seinem sorgfältigen Umgang damit, aber auch von der soliden handwerklichen Ausführung des Teeservices.
Ulrike Blauth, Marketing
Tischlampe „Salome“
Form Follows Function! Der Entwurf des Bildhauers Raoul François Larche, der die amerikanische Tänzerin Loïe Fuller im Serpentintanz abbildet, verkörpert eine Symbiose von technischem Handwerk und Kunst. Beim genauen Hinschauen sieht man eine Fassung für eine Glühbirne versteckt in den oberen, sich wölbenden Gewändern der Tänzerin. Elektrizität und Ästhetik sind hier vereint in einem eindrucksvollen Stil, der die zeitgenössische Wertschätzung fließender abstrakter Linienformation und dekorativer, aber sinnorientierter Form widerspiegelt; die ätherischen Motive der Epoche des Jugendstils stehen im Kontrast zu der sich rationalisierenden Welt. Die Faszination mit diesem Stück liegt in ihrem Bezug zur Gegenwart: Der Originalfilm der in dem Ausstellungsraum zu sehen ist, zeigt die Inspiration für dieses Stück und bewirkt gleichzeitig, dass der Figur Leben eingehaucht wird. Die Silhouette der Tänzerin, der „electric fairy“ – wie sie auch genannt wurde – wurde von Larche sinnbildlich in haptischer Form und mit einer deutlichen Funktion umgesetzt.
Shana Beims, Praktikantin Sammlung Antike
Clubsessel B3 „Wassily“
Die Begegnung mit Marcel Breuers Clubsessel „Wassily“ in der Sammlung Moderne war für mich ein schöner Moment des Wiedererkennens. Bei diesem echten Bauhaus-Design-Klassiker handelt es sich um eine der ersten Fertigungen von 1927/28 und ich kannte ihn bis dahin eher in anderer Aufmachung. Dieses Exemplar sieht im Vergleich zu den Ausstellungsstücken in seinem direkten Umfeld ein wenig in die Jahre gekommen aus. Es erinnert mich mit der abstrakten Konstruktion aus einem Gestell metallener Rohre und den dazwischen als Sitzfläche und Lehnen gespannten Textilstreifen immer etwas an den Prototyp einer Erfindung. Der Sessel wirkt so, als könne man anhand dieser Version den gesamten Entstehungsprozess vom Anfertigen der Einzelteile bis zum gesamten Aufbau nachvollziehen. Die Clubsessel „Wassily“, die heute verkauft werden, setzen sich für gewöhnlich in Chrom und Leder in Szene, also etwas herausgeputzter als ihr Vorgänger. Der steht ihnen allerdings in seinem innovativen, zeitlosen und eleganten Design in nichts nach. Der Sessel verkörpert mit diesen Eigenschaften und der Reduktion auf die notwendigsten Bestandteile die zentralen Gedanken modernen Möbeldesigns und verdient sich damit, neben seinem Platz in der Sammlung, einen Platz in so manchem Design-affinen Wohnzimmer.
Hannah Neufang, Besucher*innenservice
Treppe von Bruno Paul
Tatsächlich kenne ich die holzvertäfelte Treppe seit meiner Kindheit. Damals war sie für das Museumspublikum begehbar und ich durfte die knarrenden Holzstufen hoch und runter springen. Du betrittst einen nach altem Holz riechenden, verdunkelten Raum – wie eine Zeitkapsel – und landest im Hamburg der 1920er Jahre, im Zuhause von Gustav Fraenkel, Inhaber einer Sächsischen Tuchweberei. Der Architekt und Gestalter Bruno Paul verortete die vertäfelte Treppe auf die Gartenseite der Villa im Krumdalsweg. Verzierungen in Form von Laubwerk, Ranken und Zweigen schlängeln sich das schwere Geländer empor. Aber wie gelangte dieses eindrucksvolle Werk in das MK&G? Die Geschichte der Sammlungsobjekte und wie sie ihren Weg zu uns fi nden, überrascht und begeistert mich immer wieder: Im Zuge eines Umbaus der Villa und durch Vermittlung des Denkmalschutzamtes gelangte die Treppe samt Holzvertäfelung 1964 ins MK&G. Im Museum angekommen blieb sie rund 15 Jahre verborgen und wurde 1978/79 originalgetreu von Restaurator*innen, an dem Ort an dem sie sich noch heute befi ndet, rekonstruiert. Ursprünglich verband die Treppe die Abteilungen Jugendstil im 1. und Moderne im 2. Stockwerk des Museums. Damit die Treppe dem Publikum noch lange erhalten bleibt, ist der Durchgang mittlerweile geschlossen.
Vivian Michalski, Kuratorin, Ausstellungen und Projekte
Zuckerdose
Die Zuckerdose aus dem Mokkaservice „Melone“ macht deutlich, wie das Service zu seinem Namen gekommen ist. Die gelben Streifen und der kleine Stiel-Griff auf dem Deckel zeigen die Anlehnung des Designs an eine Melone. Der Naturbezug und das einfache Design sind exemplarisch für den Jugendstil. Kunst soll in funktionalen Objekten Platz im Alltag finden; der Naturbezug und die langsame Produktion dokumentieren die Abneigung der Industrialisierung. Hergestellt wird das Service 1929, es könnte sich aber auch heute verkaufen. Denn popkulturelle Ästhetiken wie Cottagecore bewerben idyllisches Landleben, die Anhänger*innen wollen wieder mehr selbst machen und nachhaltiger leben. Dabei spielen Blumen und Früchte eine große Rolle in der Mode und im Interieur. Cottagecore versteht sich als Gegenbewegung zu kapitalistischer Produktivität und digitaler Präsenz und ähnelt so den Vorstellungen des Jugendstils. Für mich scheint das Mokkaservice Melone das perfekte Geschirr, um auf einer Wiese zu picknicken und dem Alltag bei Törtchen und Tee zu entfliehen – egal ob jetzt oder im Jugendstil.
Merit Meurers, Praktikantin Bildung und Vermittlung
Statuette der „Jahreszeiten“ (Frühling)
Tarte au citron! Das zartgelbe französische Zitronentörtchen ist das erste, woran ich beim Anblick der eleganten Dame aus Steingut denken muss. Ob sie wohl auch gerade davon träumt? Als Verkörperung des Frühlings steht sie in der Vitrine etwas schüchtern neben ihren Schwestern Sommer, Herbst und Winter, deren Kleider jeweils in einer anderen Farbe um die Aufmerksamkeit buhlen. Obwohl ihr Look mit Haube und Fächer an das frühe 19. Jahrhundert erinnert, stammt die Figur aus der Blütezeit der Wiener Werkstätte rund einhundert Jahre später. Die reduzierte Farbwahl mit einem Hauch – oder eher Tupfen – von Schwarz deutet auf die grafische Gestaltungskraft der Zeit. Die vereinfachte, aber nicht abstrakte Form, scheinbar auf der Kippe zum Kitsch, gefällt mir. Ihre Schöpferin, die Bildhauerin Johanna Meier- Michel, zeigte sie vielleicht sogar in der Schau „Die Kunst der Frau“ 1910 in der Wiener Secession. Für diese erste Ausstellung des österreichischen Bundes weiblicher Kunstschaffenden entwarf Meier-Michel das blumig-sprühende Werbeplakat, das Sie sich in der MK&G Sammlung Online anschauen sollten. Dazu eine Tarte au citron – gleich in unserer Nähe im Café der Zentralbibliothek?
Friederike Fankhänel, Bildung und Vermittlung
Schauraum Wiener Werkstätte
Praktisch, quadratisch, gut: Hätte nicht ein Schokoladenhersteller diesen Werbespruch gewählt, er wäre wie geschaffen für die Objekte der Wiener Werkstätte (1903 gegründet). Denn einer ihrer Gründungsmitglieder, Josef Hoffmann, hat das mit den Quadraten sprichwörtlich auf die Spitze getrieben. In unserem ersten Ausstellungsraum zum Jugendstil ist dieses Gestaltungsprinzip konsequent durchgezogen: Vom Boden mit quadratischen Fliesen in Schwarz-Weiß, über das Mobiliar mit quadratischen Details bis hin zu neudeutsch als Tableware bezeichneten Servicebestandteilen, die durch ein zeitlos modern anmutendes Gittermuster ins Auge fallen. Hintergrund dieses minimalistischen Designs ist die Forderung Hofmanns und seiner Mitstreiter, alle Gegenstände des täglichen Gebrauchs sollten schön gestaltet sein und zueinander passen. Handwerkern gaben sie einen Leitsatz an die Hand: „Lieber zehn Tage an einem Gegenstand arbeiten, als zehn Gegenstände an einem Tag produzieren!“. Dem Architekten und Gestalter Hoffmann brachte die formale Vorliebe ganz nebenbei noch den Spitznamen „Quadratl-Hoffmann“ ein. Zu Unrecht: Denn Hoffmann konnte auch anders – wie die dekorative Opulenz des Brüsseler Palais Stoclet zeigt.
Dr. Manuela van Rossem, Bildung und Vermittlung
Wiggle Side Chair / Frank Gehry
Dieser besondere Stuhl von Frank Gehry verleiht dem Wort „Wellpappe“ eine ganz andere Bedeutung! Der „Wiggle Side Chair“ zählt zu der Serie „Easy Edges“, die der Architekt und Designer 1969–1972 in Karton entwirft und die bis heute gefertigt wird. Bevor ich dem „Wiggle Side Chair“ begegnet bin, habe ich mit dem Namen Frank Gehry etwas ganz Anderes verbunden: das Guggenheim Museum in Bilbao. Das Museum ist vielleicht eines der bekanntesten Gebäude, das er als Architekt entworfen hat. Der riesige Museumsbau zeichnet sich durch eine geschwungene und mit Metallplatten verkleidete Fassade aus. Der ganze Komplex erinnert an eine monumentale, schillernde Skulptur. Auch der Wiggle Side Chair hat den Anschein einer Skulptur voller faszinierender Spannung, nur in etwas kleinerem Format. Der braune Karton wirkt als wäre er weich geworden und hätte sich in diese, für das Material so ungewöhnlichen, Wellen gelegt. Durch die kleinen Lücken zwischen den einzelnen Bögen entsteht der Eindruck, als würde der Stuhl federn, wenn man sich darauf setzt. Testen konnte ich das noch nicht, aber mit Sicherheit ist der Wiggle Side Chair, anders als Form und Name erst mal vermuten lassen, ziemlich stabil.
Hannah Neufang, Besucher*innenservice
Filzhocker / Frank Schreiner
Bei diesem Hocker musste ich zweimal hinsehen: 1992 fertigt Frank Schreiner, der als einer der Vertreter des Neuen Deutschen Designs gilt, unter dem Namen Stiletto Studios den „Filzhocker“. Er besteht aus dickem, zusammengerolltem Nadelfilz, der oben und unten von Stahlbändern zusammengehalten wird. Die Stahlbänder bilden einen spannenden Kontrast zu der rauen Beschaffenheit des Filzes. Sowohl der maschinell gefertigte Nadelfilz, als auch das Stahlband sprechen von Industrie und Handwerk, obwohl die Rolle kaum bearbeitet erscheint. Die Verwendung von Objekten, die kaum durch die jeweiligen Künstler*innen manipuliert werden, sogenannten Readymades, regt seit dem frühen 20. Jahrhundert an Gesehenes zu hinterfragen. Stiletto Studios nimmt in ähnlicher Weise 1983 mit einem zurechtgebogenen, metallenen Einkaufswagen, dem „Consumer’s Rest Lounge Chair“, Bezug auf Designklassiker, wie den „Wire Chair“ von Charles und Ray Eames oder den „Diamond Chair“ von Harry Bertoia. Dem „Filzhocker“ gelingt es ebenfalls, zum Nachdenken anzuregen. Denn wenn er nicht so heißen würde, wäre ich mir nicht so sicher, ob ich ihn als Hocker erkannt hätte.
Hannah Neufang, Besucher*innenservice
Bronzefigur Pferd
Als Teenager hatte ich eine kurze Pferdemädchen-Phase. Diese erhabenen Tiere faszinieren mich bis heute. Was ich an der Bronzefigur „Pferd, sich beißend“ von Gustav Heinrich Wolff (1886–1934) so mag, ist die Beiläufigkeit der Bewegung. Dieser bestimmte Augenblick, die wendige Drehung, die im Gegensatz zu der abstrahierten Figur steht – darin liegt für mich die Schönheit dieser kleinen Skulptur. Sie erinnert auch an die blauen, roten oder gelben Pferde von Franz Marc, einer der wichtigsten deutschen Expressionisten und Zeitgenosse von Gustav Heinrich Wolff, dessen Malereien wie exakt komponierte Bewegungsstudien erscheinen. Das Pferd von Gustav Heinrich Wolff ist im 2. Stock ausgestellt. Im MK&G befindet sich der größte zusammenhängenden Werkbestands des Künstlers mit Zeichnungen, Skulpturen und Druckgrafik. 1937 wurden 17 Werke von Wolff von den Nationalsozialisten als „Entartete Kunst“ aus der Sammlung entfernt, 20 Jahre später zeigte das Haus die erste Retrospektive des Künstlers.
Gudrun Herz, Pressesprecherin
Salzgefäß Oktopus
Das silberne Salzgefäß von Alexander Schönauer aus dem Jahr 1902 erinnert mich daran, dass es vor dem Aufkommen des Salzstreuers gängig war, das Gewürz mit den Fingern aus einer Schale zu greifen. Darauf verweist auch die Angabe „eine Prise Salz“, die die Menge bezeichnet, die sich zwischen Daumen und Zeigefinger fassen lässt. Die tastenden Tentakel des Oktopus, der Schönauers Schale umschlingt, lassen mich an die Finger einer Hand denken, die in eine Masse aus unzähligen Körnchen greift und dabei deren Struktur spürt. Vom Greifen zum Begreifen ist es nicht nur sprachlich ein kurzer Weg. So verändern neue Werkzeuge, wie zum Beispiel der Salzstreuer, auch immer, wie wir unsere Umwelt erfahren und verstehen. Sie vermitteln zwischen uns und der Umgebung und beeinflussen, in welchem Verhältnis unser Körper zu der Materie um uns herumsteht. Der Oktopus als Wesen, dessen Denk- und Sinnesapparat sich deutlich von dem meinen unterscheidet, steht für mich als Symbol dafür, dass die Welt ganz unterschiedlich wahrgenommen wird. Er lädt mich dazu ein, physisch die Materialität zu begreifen, die mich umgibt und dabei im Hinterkopf zu behalten, wie sehr mein Erleben von meinem Wahrnehmungsapparat sowie den Dingen in meinem Umfeld geprägt ist.
Anna Gröger, Werkstudentin Sammlung Kunstgewerbe und Design
Armband
In einer der historischen Holzvitrinen der „Hamburger Moderne“ ist dieses Armband von 1931 ausgestellt. Wie neuartig und progressiv es doch in seiner hochglänzenden Veredelung und kühlen Ästhetik wirkt! Acht rechteckige Metallplatten sind über Drähte und Röhrchen beweglich aneinandergefügt – ergeben ein prismenförmiges Gebilde mit Knopfverschluss. Verziert mit einem gestanzten Lochdekor, erinnert es an ein Windlicht und ist doch als Schmuckstück konzipiert. Der in Kiew geborene und von 1924 bis 1933 in Hamburg lebende Goldschmied und Beleuchtungsarchitekt Naum Slutzky hat dieses Armband entworfen und in einfacher Montagetechnik aus verchromten Messingteilen angefertigt. Als extravagantes Accessoire wendet es sich an die moderne Frau der 1930er Jahre, die für technischen Fortschritt und gesellschaftlichen Wandel steht und den unedlen Avantgarde-Schmuck in seiner eigenen Schönheit erkennt. Das Armband ist für mich neben all den anderen Slutzky-Arbeiten ein schönes Beispiel für die besondere Kreativität des Künstlers, der vor seiner Hamburger Zeit für die Wiener Werkstätte und das Weimarer Bauhaus arbeitete. Mit seinen Entwürfen hat er traditionelle Gestaltungs- und Herstellungsweisen von Schmuck in Frage gestellt und neue Wege aufgezeigt.
Susanne Sauerbrunn, Digitale Inventarisierung
Prunktisch
Für seinen 1851 gefertigten Prunktisch erhielt der Hamburger Möbeltischler Carl Friedrich Heinrich Plambeck einen Preis auf der Weltausstellung in London. Der aufwendig gestaltete Tisch wurde gar als eine der „schönsten Arbeiten“, die dort gezeigt wurden, bezeichnet. Um sein Können zu demonstrieren, verwendete Plambeck neben exotischen Hölzern dünn geschnittenes Perlmutt, Elfenbein und Metall zur kunstvollen Oberflächenverzierung. Das Besondere sind für mich jedoch die farbigen Einlagen. Sie bilden Hintergründe, Blumengirlanden sowie Kleidung in kräftigen Farben. Was ist das für ein Material, habe ich mich immer gefragt. Der frühere MK&G Möbel-Restaurator Horst Krause hat diesen Tisch Anfang der 1980er Jahre restauriert und mich als damalige Praktikantin auf die beachtenswerte Technik aufmerksam gemacht. Tierischer Leim, versetzt mit blauen, roten, gelben oder grünen Pigmenten, ist als dünne Platte ausgegossen und wie Furnier ausgesägt worden. In einem relativ kurzen Zeitraum um die Mitte der 1850er Jahre fand diese farbenfrohe Technik an Möbeln in ganz Deutschland Verwendung.
Carola Klinzmann, Restauratorin Möbel und Holzobjekte
Jugendstil Webjournal
Bewegte Jahre. Auf den Spuren der Visionäre
In dem Web-Journal „Bewegte Jahre. Auf den Spuren der Visionäre“ begleiten Sie den fiktiven Reporter Christian Heller bei seinen Begegnungen mit realen Künstlern, Visionären, Reformerinnen und Gestalterinnen. In seinem Reisetagebuch zeichnet er ein lebhaftes Bild des Jugendstils. Zahlreiche Original-Fotos und -Dokumente gewähren Einblick in Ateliers, Werkstätten und Wohnhäuser der tonangebenden Akteure. Von Hamburg über Paris und Wien nach Glasgow und Ascona – machen Sie sich gemeinsam mit Christian Heller auf die Reise! 2018 wird das Webjournal mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet.